Kultur

ÖRR but make it fresh – Junge Angebote der Öffentlich-Rechtlichen

Wem die beiden Familien auf dem Foto bekannt vorkommen, der hat sie wahrscheinlich schon mal auf Netflix gesehen. Dort läuft "Doppelhaushälfte" nämlich seit einigen Wochen und das sehr erfolgreich – ich habe fast das Gefühl, die Serie holt sich beim Streaminggiganten drei Jahre nach Produktionsstart endlich den Hype, den sie verdient hat. Denn eigentlich ist "Doppelhaushälfte" ja eine öffentlich-rechtliche Produktion und schon seit 2022 auf ZDFneo und in den Mediatheken von ZDF und ARD zu sehen.

Familie Knuppe und Familie Sawadi-Kröger

Pressefoto zur Serie Doppelhaushälfte [ZDF] Copyright: ZDF/Laura Höner / [M] Thomas Carls

Dass die Öffentlich-Rechtlichen vor allem bei den jungen Zielgruppen ein Image-Problem haben, ist kein Geheimnis. Dabei liefern diese in den letzten Monaten ein junges Angebot nach dem anderen ab – und zwar überzeugend. Im Gegensatz zum ein oder anderen Flop in der Vergangenheit, sind aktuelle Produktionen für junge Zielgruppen auch wirklich authentisch, echt und fresh. Meine drei Liebsten stelle ich dir in diesem Artikel vor.

30 Tage Lust [SWR, 2024]

In einer Staffel zu acht Folgen wird die Geschichte eines jungen Paares erzählt, das eigentlich ganz glücklich ist – oder doch nicht? Freddy und Zeno in ihren späten Zwanzigern. Sex mit anderen kennen sie nicht, sie sind schon lange zusammen und haben alle ihre Erfahrungen gemeinsam gesammelt. Deshalb packt Freddy eines Tages die Torschlusspanik und sie schlägt ihrem Partner ein Experiment vor: 30 Tage Sex mit anderen, sozusagen eine offene Beziehung auf Zeit. Dieser freundet sich zwar nur schwer mit der Idee an, doch stimmt Freddy zuliebe schließlich zu. Denn die Beziehung der beiden ist doch stabil und wird so einem kurzen Experiment auf jeden Fall standhalten… zumindest glauben sie das. Auf ganz unterschiedliche Weise beginnen die beiden also, ihren Freiraum zu nutzen und sammeln immer mehr Erfahrungen, in die die Zuschauenden ganz authentisch und natürlich mitgenommen werden. Und dann scheint ihre Beziehung doch nicht mehr so stabil wie zuvor – miteinander reden und sich unterstützen ist nicht mehr selbstverständlich und plötzlich steht alles in Frage. Ob Freddy und Zeno noch rechtzeitig merken, wie gut sie eigentlich zusammenpassen? 30 Tage Lust entromantisiert die vielen Sexszenen und schafft es, diese überhaupt nicht cringe und stellenweise sogar humoristisch trocken zu verpacken. Nicht zuletzt stellt die Serie die Frage, ob man wirklich immer alles erlebt und ausprobiert haben muss oder ob es manchmal nicht doch reicht, sich auf ein gutes Gefühl zu verlassen. Damit geht es im Kern um FOMO (Fear Of Missing Out) – ein Thema, das vor allem die Lebensrealitäten vieler Gen-Z-ler*innen und Millennials prägt. 

Doppelhaushälfte [ZDFneo, 2022-2024]

Familie Sawadi-Kröger kommt eigentlich aus Berlin, aber sehnt sich nach einem ruhigeren zurückgezogenen Leben. Als sie endlich in eine Doppelhaushälfte im Brandenburgischen Speckgürtel ziehen, kann dem Familienidyll nichts mehr im Weg stehen – außer vielleicht ihr neuer Nachbar Andi Knuppe. Der und seine Familie sind nämlich all das, was die Kröger-Sawadis nicht sind und auch auf keinen Fall sein wollen: kleinbürgerlich-konservativ, typisch brandenburgisch schroff und manchmal ein bisschen grenzüberschreitend. Die Serie Doppelhaushälfte erzählt mit überspitzen Charakteren und harten Kontrasten auf ganz wunderbar leichte Weise die unterschiedlichen Lebensrealitäten der beiden Familien, die Wand and Wand täglich aufeinanderprallen. Dabei bekommen beide Gruppen – die links-intellektuelle, offene und woke Bubble, wie das kleinkarierte Spießbürgertum Brandenburgs, gleichermaßen ihr Fett weg. Manchmal fühlt man sich als Zuschauer*in sogar selbst etwas ertappt, wenn beispielsweise die Schwachpunkte vom Diversitätswahn der Sawadi-Krögers enttarnt werden, oder gekonnt auf die ein oder andere Doppelmoral von Mutter Mari hingedeutet wird. Doch auch die Knuppes sind nicht ganz das, was sie sich eigentlich gern auf die Stirn schreiben würden – zumindest Familienoberhaupt Andi Knuppe, der keiner geregelten Tätigkeit nachgeht und vom Beauty-Business seiner Frau lebt, aber allzu gern das paschahafte Verhalten eines Familienernährers aus dem letzten Jahrhundert an den Tag legt. Am Ende ist es vor allem die Tatsache, dass die beiden Familien trotz großer Unterschiede im Kern gar nicht so verschieden sind, die diese Serie trägt und ihren Witz ausmacht.

Doppelhaushälfte hat in den sozialen Medien viel Lob erfahren und wurde von Pressestimmen als beste Comedy des deutschen Fernsehens bezeichnet. Dennoch verliert sich meiner Meinung nach das Fundament der Serie, das gerade in der Darstellung des Alltäglichen und Unspektakulären liegt, als es in der zweiten und dritten Staffel allmählich auserzählt ist. Die Autor*innen weichen dann auf immer außergewöhnlichere Stoffe aus. Darunter sind auch einige Konzeptfolgen, die beispielsweise ganz im Metaversum spielen, einem digitalen Raum, in dem virtuelle und physische Realität miteinander verschmelzen. Auch diese Folgen sind durchaus sehenswert, nicht zuletzt, weil das komplette Erzählen einer Folge im virtuellen Raum weltweit eine Neuheit ist, so die Pressestelle des ZDF. Allerdings haben gerade die experimentellen Folgen der zweiten Staffel mit dem ursprünglichen Charme der Serie nicht mehr viel zu tun. Dranbleiben lohnt sich aber trotzdem, denn in Staffel drei scheint man sich wieder auf die Genialität des Einfachen und Alltäglichen rückbesonnen zu haben.

Made in Germany [ARD, 2024]

Es gibt noch nicht allzu viele Formate, die die Lebensrealität postmigrantischer Personen in Deutschland so unaufgeregt und pur erzählt, wie sie ist. Made in Germany ist eines davon und schafft ebendas mit Bravour. Die Serie nimmt die Zuschauenden mit durch den Alltag sechs postmigrantischer Berliner*innen in ihren Zwanzigern. Im Zentrum jeder Folge steht eine der Figuren und so entsteht ein Strauß an Geschichten, die nur lose durch deren freundschaftlichen Verbindungen zusammenhängen. Angenehm zurückhaltend und mit viel Feingefühl erzählt Made in Germany die Herausforderungen und Probleme, mit denen die jungen Berliner*innen im täglichen Leben konfrontiert sind. Es sind Alltagsrassismus – mal mehr und mal weniger subtil, innere Zerrissenheit zwischen dem Gerechtwerden elterlicher Erwartungen und dem persönlichen Lebensentwurf, Diskrepanzen zwischen dem eigenen Bildungsstand und dem der Eltern und die Frage nach Identität im individuellen Sinn sowie im Kontext des jeweiligen kulturellen Hintergrunds, die nicht nur Zuschauenden mit Migrationsgeschichte eine breite Identifikationsfläche bieten. Was die Serie meiner Meinung nach ausmacht, ist, dass sie eben keine Lösungen für die Probleme anbietet, die sie skizziert. Sie stellt die Struggles der Protagonist*innen dafür besonders direkt und echt dar. Sie lässt die Zuschauenden ebenso allein damit zurück, wie sich die Figuren in der Geschichte fühlen müssen. Made in Germany ist eine wunderbare Serie, die auf unaufdringliche Weise erzählt aufdringlich zum Nachdenken anregt.

Ein Blick in die Mediatheken von ARD und ZDF lohnt sich inzwischen also in jedem Fall. Denn es scheint, als haben auch die Öffentlich-Rechtlichen endlich verstanden, dass junge diverse Angebote von jungen diversen Menschen gemacht werden müssen und schaffen es so nun auch, entsprechende Zielgruppen adäquat anzusprechen.

Ebenfalls frischen Wind ins öffentlich-rechtliche Angebot hat vor einigen Jahren die HipHop-Musical-Serie Hype gebracht, die rau und ehrlich die Lebensrealität Jugendlicher im Brennpunktviertel Köln-Porz erzählt. Mehr darüber findest du hier.