Kultur

Warum der Teppich attraktiver ist als Aladdin! - Wenn der Musicalbesuch zur Soziologiestunde wird

Das Schauspiel beginnt bereits im Foyer. Dort trifft Champagner auf Rotkäppchen Sekt und Porsche auf Straßenbahn.

roter Teppich mit orientalischen Mustern

roter Teppich mit orientalischen Mustern

Der Musicalabend, dem die Zuschauer schon lange entgegenfiebern -zumindest manche- ist gekommen. Ich öffne die gläsernen Türen des Musical-Gebäudes. Um mich herum tummeln sich die verschiedensten Menschen. Genau da beginnt es schon spannend zu werden. Einige tragen teure, schlichte Kleidung. Daneben steht Ursel aus der nahegelegenen Kleinstadt. Sie trägt schwarz und um ihren Hals hat sie ein orange-rotes Tuch geworfen. „Um noch ein bisschen Farbe mit reinzubringen“.

Ihr fragt euch sicher, woher ich ihren Namen kenne- naja- ihre Freundin Brigitte schreit ihn gerade durch das ganze Foyer, als sie nach langer Suche endlich die Klos gefunden hat. 

Im Vergleich zu den Anzugträgern wirken sie überwältigt. Überwältigt von den verstaubten Kronleuchtern oder den fleckigen Teppichen, auf denen dunkle Haare kleben. Zudem ist da der perlende Sekt, der den überschminkten Clownsgesichtern noch mehr Rouge auf die Wangen zaubert. Aber genau diese Teppiche und die Besucher, die darauf laufen, werden auf einmal spannender als die Show selbst. Auf diesen Teppichen findet nämlich ein soziologisches Schauspiel statt. Alles in allem lassen sich die Besucher*innen leicht kategorisieren.

Geld aber keine Ahnung

Da gibt es die Porsche fahrenden Unternehmer*innen. Ich will hier aber niemanden direkt in eine Schublade stecken, es könnten auch geleaste BMWs sein. Meist sind es schick gekleidete Männer, mit einer schlanken, viel hübscheren Frau am Arm. Sie geben ihre Jacken ab und gehen direkt zu ihrer reservierten Lounge, die, auch in der Pause, bereits mit frischen Sektgläsern und Snacks bereitsteht. Ab und zu sind sie auch in Begleitung ihrer Arbeitskolleg*innen. Bei ihnen könnte man denken, dass sie das Haargel noch schnell leer machen wollten, bevor es schlecht wird. Sie trinken ausschließlich Champagner, unterhalten sich über das letzte Tennismatch und zahlen an der Theke lediglich mit einem 500 Euro-Schein. Ich schätze, der Musicalbesuch ist für sie ein Versuch, wieder mehr Emotionen in ihr Leben zu bringen. Ansonsten haben sie aber weder Ahnung von Gesang und Tanz noch von Schauspiel, gehen aber davon aus, dass man sich das Wissen einfach erkaufen kann.

Von der Kleinstadt zum Bling Bling

Die anderen Besucher*innen sind die Ursels und Brigittes dieser Welt. Sie haben die Karten letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt bekommen. Die Frauen sind sehr aufgeregt und müssen alles ganz genau betrachten. Von dem Souvenirstand wird definitiv das dicke Programmheft gekauft, „als Erinnerung, sowas erleben wir ja nicht alle Tage!“. Habe ich schon erwähnt, dass Brigitte eine kurze, freche Frisur trägt, die aufgrund der roten Strähne vorne noch fetziger wird? Naja, jedenfalls stürmen die beiden ganz aufgeregt zu den lebensgroßen Pappaufstellern der Hauptfiguren, um Bilder „als Andenken“ zu machen. Die zwei freuen sich dann aber auf ihr Glas Weißweinschorle zum Anstoßen, bevor es losgeht. Davor muss auf jeden Fall nochmal die Toilette aufgesucht werden. Ursel und Brigitte sind von der Show total begeistert. Egal wie unkonzentriert die Hauptcharaktere heute spielen. Die Karten waren teuer, „da muss man ja auch was geboten bekommen, das sind ja alles Profis“.

Noch lange nicht alles

Von diesen zwei Oberkategorien gibt es dann noch ganz viele Rubriken, zum Beispiel das nörgelnde Pärchen Gerhard und Susanne. „Wir haben ja viel Geld gezahlt, und dann sowas“. Oder die „Musicalkenner*innen“. Sie sind oft daran zu erkennen, dass sie bunter gekleidet sind als Papageno in der Zauberflöte. Sie singen jeden Song mit und denken, dass ihre Gesänge, ein Halbton zu hoch, genau auf die Ohren von Agent*innen stoßen werden, die sie dann selbst zu Musicalstars machen.

Erkennen Sie sich wieder? Sind Sie eine Ursel, Brigitte, ein Gerhard oder eine Susanne? Oder sind Sie die Person mit zu viel Rouge oder Haargel? Kommen Sie mit dem Porsche oder der Straßenbahn? Oder sind Sie jemand ganz anderes?