Kultur

Unfassbieres Selbstbewurstsein – Ein Ausflug zum Kulturtreffpunkt Fußballstadion

Es ist dunkel. Scharen von Menschen bewegen sich von allen Seiten auf diesen einen Ort zu. Um die 50.000 werden es am Ende sein. Wie jedes Mal.

Stadionwurst mit Senf im Brötchen

Ein halber Meter Feuerwurst mit Senf im Brötchen

Allwöchentliche Fantasiereise

Manche stolpern noch etwas verloren durch die Gegend aber die meisten von ihnen kennen diesen Weg bereits. Er führt vorbei an aufgeklebten Bildern. Sie sind in einer Allee aus Straßenlaternen so etwas wie eine Baumrinde, die mindestens einmal wöchentlich fröhlich weiter wächst und gedeiht.

Neben dem Klang unzähliger Stimmen und dem Geruch von Erfrischungsgetränken jeglicher Art macht sich noch etwas in der milden Abendluft breit: Spannung. Sie ist deutlich zu spüren. Sie geht von diesem einen Ort aus. Sie schwebt in alle Himmelsrichtungen und ergreift alles Umliegende, legt sich wie ein Tuch über das Geschehen und nach einiger Zeit beginnt sie langsam sich mit Vorfreude zu paaren. Auch mich hat sie ergriffen. Das tut sie jedes Mal aufs Neue, auch wenn ich das alles schon kenne. Ich bewege mich inmitten des Stroms, der immer breiter und aufgewühlter wird, je näher er seinem Ziel kommt. Kurz bevor er es erreicht, hält er noch einmal inne nur um wenig später an eine Wand aus grauen schroffen Klippen zu prallen, sie zu überfluten und schließlich komplett zu verschlingen. Wir sind angekommen.

Mitte der zweiten Halbzeit

Schon zum dritten Mal schreit der Stadionsprecher. Dann schreien alle anderen. DREI!... NULL!… schreien die meisten, ABSEITS! oder einfach nur SCHEISSE! ein paar wenige andere. Abermals durfte ich in lauwarmem Hopfentee duschen und der gesellt sich nun fröhlich zu dem obligatorischen Senffleck auf meinem weißen Fanschal.

Die Mannschaft macht was sie will auf dem Platz, genau wie in den Spielen davor schon. Aufgrund der letzten Ergebnisse, welche sich ausgesprochen gut und ungewöhnlich konstant lesen, tritt sie auch heute wieder mit breiter Brust auf. „Dieses Selbstbewusstsein ist unfassbar“, meint ein Mann neben mir wenig später erstaunt. Ich lache und nicke zufrieden. „Gewöhn dich lieber gar nicht erst dran“ entgegnet daraufhin eine ältere Dame in einem 80er Jahre Retro Trikot. „Fan von diesem Verein zu sein hat schon immer bedeutet Höhen und Tiefen in Kauf zu nehmen“.

Graue Maus und bunte Kurve:

Zugegebenermaßen waren die Auftritte der Spieler bei weitem nicht immer so glorreich wie heutzutage. Vor nicht all zu langer Zeit kämpfte der Verein noch gegen den Abstieg. Diesbezüglich haben sich die Zeiten mittlerweile geändert. Zum Glück.

Viele Dinge sind allerdings auch gleichgeblieben, seitdem ich ins Stadion gehe. Da sind zum Beispiel die Gesänge, die unser Team Jahr für Jahr, Spiel für Spiel immer wieder nach vorne treiben, ganz egal wie unansehnlich der Fußball manchmal schon gewesen ist. Dann sind da natürlich die Fans. Für viele bin selbst ich noch ein Neuling. Zum Beispiel für die Frau in dem 80er Jahre Retro Trikot, die war schon da, da war ich noch nicht einmal mehr geboren. Währenddessen gibt es aber auch andere Besucher:innen, die gerade erst so groß sind, dass man sie problemlos vor den Bauch schnallen kann.

Auch das kenne ich schon immer so.  Nicht nur alte und junge-, sondern auch Menschen jeder Herkunft, jeder Religion oder sozialen Schicht kommen hier zusammen. Viel mehr noch, hier werden Freundschaften geschlossen, man lacht zusammen, weint zusammen, singt zusammen, und liegt sich am Ende des Tages in den meisten Fällen mit irgendwelchen anderen Menschen in den Armen, ob man sie nun kennt oder auch nicht.

Aus, aus, das Spiel ist aus!

Irgendwann nach dem Spiel trete ich müde und erschöpft, aber trotzdem glücklich den Weg aus dem Stadion an. Tore sind keine mehr gefallen, aber das Spiel ist gewonnen und das wurde bis vor einigen Augenblicken auch noch ausgiebig gefeiert.

Noch leicht euphorisiert stelle ich mich ein letztes Mal für heute in der Bierschlange an. „Unglaublich!“ denke ich. „So etwas hat es ja schon ewig nicht mehr gegeben.“  Und weil es gerade so schön ist und entgegen allen Erfahrungen und jeder Vernunft erlaube ich mir auch den ein oder anderen träumerischen Gedanken an die Zukunft und daran was passieren könnte, wenn es so weiter geht. Nach kurzer Zeit schiebe ich sie allerdings wieder weg, weil ich keine Lust habe mich mit all den lästigen Dingen zu beschäftigen, die damit einher gehen könnten, sowie es bei anderen Clubs schon gewesen ist: Vielleicht wird dann der nächste Spieler von irgendeinem großen Verein für eine irrwitzige Summe verpflichtet. Leute bekommen keine Tickets mehr, weil sie ihnen von, plötzlich aus dem Boden gewachsenen, Erfolgsfans vor der Nase weggeschnappt werden. Und damit Hand in Hand geht vielleicht sogar eine echte Bedrohung für die Vielfalt unserer Fanszene. „Nein, keine schönen Vorstellungen“ denke ich „aber an diesem Punkt sind wir ja noch nicht. Einfach den Moment genießen“

Und so bestelle ich mir lieber ein Bier, weil ich mittlerweile ganz vorne in der Schlange angekommen bin. „Das macht dann 7 Euro“ sagt der Mann an der Kasse und stellt einen fast vollen Plastikbecher vor mich. Ich schüttle mein allerletztes Kleingeld aus dem Geldbeutel und drücke es ihm in die Hand. Ich wünsche ihm noch einen schönen Abend und begebe mich auf den Heimweg.