Kultur

Stuttgarter Weindorf - zwischen Regionalität und Profit

Das Stuttgarter Weindorf hat eine lange Tradition im Wandel der Zeit. Trotz dessen legt es großen Wert auf Regionalität und dessen Striktheit. Doch wird diese auch in allen Bereichen durchgesetzt?

zwei Weingläser im Vordergrund und die Lichter der Festhütten im Hintergrund
Weinlaube "Weingut der Stadt Stuttgart" und Kreidetafel mit der Aufschrift "schnelles Viertele 5€"

Schlossplatz Stuttgart: Familien und Freundesgruppen entspannen auf der Wiese mit dem Weinglas in der einen und einem Crêpe in der anderen Hand. Es ist ziemlich still für die Stuttgarter Verhältnisse. Freudige Gesichter und beschwipste Leute, die vom Schillerplatz kommen. Läuft man ihnen entgegen, sind schon die ersten Lauben zu erkennen. Der Geruch von gebrannten Mandeln und die Klänge einer kleinen Musikgruppe beleben die Luft. Das Tuscheln der Massen, im Hintergrund. Ein Andrang an Menschen versammelt sich vor der Bühne und versperrt den Eingang: Eltern mit ihren Kindern, junge Leute, die sich auf Englisch unterhalten, Senior:innen, die sich in den Armen liegen und noch viele mehr. Kommt man an ihnen vorbei, enthüllt sich ein traumhaftes Bild von Lichtern, Holzhütten, die mit Markisen überdeckt sind, Kreidetafeln und vor allem ganz viele Weingläser, mit den verschiedensten Weinen befüllt. Es ist klar - das Weindorf ist zurück.


Die Ursprünge: Wie die Stuttgarter Zeitung von den Anfängen des Stuttgarter Weindorfes berichtet


1976 wurde erstmals das Stuttgarter Weindorf ins Leben gerufen. Von wem das Fest ursprünglich ausging, ist jedoch unklar. Es sollte schon damals die regionalen Weingüter in und um Stuttgart unterstützen. Der Vorläufer des heute bekannten Weindorfes fand 1976 noch mobil statt. So wurde der Wein per Lastwagen rumkutschiert und an die Gäste wie von einer Art Eiswagen runterverkauft. In der Innenstadt waren mehrere Bänke aufgebaut. In der Mitte stand ein Vierertisch mit einer Art Markise, die als Überdachung diente. So konnten es sich die Gäste mit ihrem Wein gemütlich machen. Dieter Zaiß, damaliger Cannstatter Weingärtner wurde zum Verwalter des Stuttgarter Weindorfs ernannt. Es war vielversprechend, dieses Fest als eine Art Tradition jährlich stattfinden zu lassen. Jedoch wurde schnell klar, Weintrinken und Autofahren, das passt nicht ganz so gut zusammen. Das erkannte auch der ADAC. So war schon nach einem Jahr erstmals Schluss mit der neuen Tradition. 


Heutzutage ist es kaum vorstellbar das Weindorf per Transporter durch Stuttgart zu kutschieren. Der Andrang des Weindorfes und die Menschenmassen, die in die Metropole kommen, lassen es schier unmöglich erscheinen das Fest geordnet und harmonisch ablaufen zu lassen. Über eine Million Gäste kommen laut BW-Guide, dem Touristenführer in Baden-Württemberg, jährlich, um das Weindorf zu besuchen.


1978 wurde das Weindorf erneut in Angriff genommen. Anstelle des Lastwagens sollten Hütten her. Also wurde das Stuttgarter Architekturbüro beauftragt fünf mal fünf Meter große Holzlauben zu entwerfen. Als Vorbild dienten damals die schwäbischen Wärterhäuschen, in denen sich die Wärter:innen während dessen Dienst aufhielten. Die Hütten kosteten die regionalen Winzer:innen jeweils ganze 6000 D-Mark (heute ungefähr 3.068 Euro) . Trotz des anfänglichen Schocks nahmen viele Weingüter an diesem Fest teil und von da an fand das Stuttgarter Weindorf jährlich mit großem Erfolg statt.


Das Stuttgarter Weindorf 2023 - good to know


Das diesjährige Stuttgarter Weindorf fand vom 30. August bis zum 10. September, mit einem abwechslungsreichen Programm und vielen Attraktionen statt. Zusätzlich spielten auf dem Festgelände neue Bands ihre Musik. Die Besucher:innen konnten sich den Klängen hingeben, während sie genüsslich ihren Wein tranken, ihre Speisen aßen oder einfach nur mit der Melodie mitwippten. Wem der Trubel zu viel wurde, konnte sich mit deren Getränk oder Speise, auf dem Schlossplatz ein ruhiges Fleckchen suchen.


Das Festgelände erstreckte sich vom Marktplatz über die Kirchstraße bis hin zum Schillerplatz. Viele kleine Hütten waren entlang der Kirchstraße aufgereiht. Es ähnelte dem Aufbau eines kleinen Weihnachtsmarktes. Anstelle des Glühweins, gab es eine breite Auswahl an hochwertigen regionalen Weinen. Auf dem Markt- und Schillerplatz gab es zusätzlich noch einige offene gastronomische Einrichtungen, die Platz zum Ausruhen und Entschleunigen boten. 


Das Programm fand größtenteils auf dem Schillerplatz statt. In der Kulturlaube der BW Bank gab es jeden Tag Unterhaltung für Groß und Klein: von Comedy über Musik, Tanz und noch vielem mehr. Für Kinder gab es jeden Sonntag viele verschiedene Aktivitäten. Und für diejenigen, denen das Weindorf abends zu gemütlich war, gab es von Donnerstag bis Samstag eine Aftershowparty in der Schräglage Clublaube. Was natürlich auch nicht fehlen durfte war das jährliche Traubenpressen mit der Politprominenz. Alles in Allem war immer irgendetwas los.


Die Debatte über Regionalität 


Dieses Jahr wurden auch einige Erneuerungen, vom Veranstalter vorgenommen. So auch die viel diskutierte „Champagnerstrafe“ von 5000 Euro, die Ständen des Weindorfes drohte, wenn sie nach Ermahnung weiterhin Champagner ausschenkten. Die vom Pro Stuttgart e.V. ins Leben gerufene Champagnersperre, kommt jedoch nicht von nirgendwo her. Champagner entspräche nicht dem ursprünglichen Konzept der Regionalität. Zudem gäbe es auf dem Weindorf eine Vielzahl an regionalen Schaumweinen. Auf der Homepage vom Stuttgarter Weindorf wird mit „Köstlichkeiten aus Küche und Keller – alles regional, alles in bester Qualität“ geworben. Jedoch werden auf dem Festgelände mehrere Speisen, wie auch Getränke angeboten, die nicht ganzheitlich der Regionalität unterliegen. Unteranderem handelt es sich hierbei um den allgemein beliebten italienischen Aperol Spritz und den gut bewehrten französischen Crêpe. Da ist es natürlich klar, dass sich einige Besucher fragen, wo die Grenzen der Regionalität gezogen werden und wo nicht.


Bärbel Mohrmann, die Geschäftsführerin von Pro Stuttgart unterscheidet dabei zwischen Essen und Getränken. Bei Getränken soll der regionale Wein heimischer Winzer:innen Vorrang haben. Das Beibehalten des Aperol Spritz begründet sie mit der hohen Nachfrage der Besucher. Beim Essen greift Pro Stuttgart jedoch nicht nach solch harten Bandagen. Die einzige Konsequenz dort ist es, den Speisen einen deutschen Namen zu verpassen und möglichst viele regionale Zutaten zu verwenden. Somit mussten die Speisekarten noch einmal überarbeitet werden und jedes Gericht, das sich nicht regional anhörte, wurde umgeschrieben oder gar geändert. So wurde zum Beispiel aus Crêpe der süße Pfannkuchen und anstelle von Pommes und Hamburger gab es Maultaschen-Hamburger. Ob das jetzt die Regionalität zurückbringt, darüber lässt sich streiten.


Es ist also kein Wunder, dass die Meinungen um die Berechtigung der Champagnerstrafe auseinander gehen. Der Ausschankverbot von Champagner gibt es jedoch schon seit einigen Jahren. Die Strafe wurde dieses Jahr von Pro Stuttgart e.V. hinzugefügt, um von dem Personal ernstgenommen zu werden. Zuvor wurde trotz des Verbots an einzelnen Ständen Champagner verkauft. Das Personal hat unteranderem einfach das Etikett der Flasche überklebt, um nicht erwischt zu werden. 


Geheimtipp


Fast jeder Stand bot auf Nachfrage eine kostenlose „Weinprobe“ an. Das heißt zumindest für die Weine, bei denen die Gäste wirklich überlegt haben diese zu kaufen. So bot sich die Chance bei Unsicherheiten bezüglich des Geschmacks, sich zu vergewissern. Zudem wurde an einzelnen Ständen die Happy Hour berücksichtigt und am letzten Tag des Weindorfes gab es abends auf einige Getränke wie auch Speisen bis zu 50% Rabatt.