Kultur

Operativer Vorgang: Vergangenheit

Der Roman „Die Verlassenen“ von Matthias Jügler, veröffentlicht 2021 im Penguin Verlag, führt in die Vergangenheit von Johannes Wagner und damit auch in die Vergangenheit vieler Deutscher: Das Leben unter Stasi-Überwachung.

Buchcover: Die Verlassenen. Mann der ein Kind nach hält, dass die Arme nach oben streckt

(c) Penguin Verlag

Johannes Wagner wird 1986 in Halle geboren. Seine tragische Kindheit prägt sein ganzes Leben. Als seine Mutter plötzlich aus unerfindlichen Gründen stirbt und auch sein Vater ihn mitten in der Nacht für immer verlässt, wächst er bei seiner Großmutter auf. Seine Kindheit und Studienjahre sind geprägt von Unsicherheit und Ungewissheit. Der einsame Alltag ändert sich erst, als Johannes in einer alten Kiste Briefe findet, die Spuren zu seinem Vater enthalten. Nicht nur seine Zukunft, sondern auch seine Vergangenheit verändern sich, als er sich auf den Weg macht seinen Vater zu finden. Ohne es zu wissen, deckt Johannes damit ein Geheimnis auf, mit dem er nie gerechnet hätte.


Die klärenden Beweise
Als Johannes sich auf die Suche macht, fährt er bis nach Norwegen. Dorthin führt ihn ein Brief aus der Kiste, die ihm von einem Fremden auf dem Gehsteig übergeben wird. In Norwegen kommt er der Spur des ehemaligen besten Freundes seines Vaters immer näher. Als er bei einer Bekannten des Freundes unterkommt, zeigt diese ihm alte Stasi-Unterlagen. Sie enthalten Informationen über den Tod von Johannes Mutter und wie dieser wirklich zustande kam. 
Diese Unterlagen sind in der Mitte des Buches enthalten. Matthias Jügler gibt dem Lesenden somit die Chance, selbst in den Augenblick der Wahrheit einzutauchen. Die Dokumente sind täuschend echt, aber keine Originale. Geschrieben mit einer Schreibmaschine, inhaltlich knapp und in der Sprache der Stasi verfasst werden auf 15 Seiten Berichte, Bilder und Informationen gezeigt, die aus Zeiten der DDR sein könnten. Der Autor gibt in einem Interview mit der Stasi-Mediathek 2022 zu, dass er sich so tief in das Unterlagen-Archiv eingearbeitet hat, bis er selbst die Sprache der Stasi beherrschte. 
 

Schlichtweg ergreifend
Nachdem Matthias Jügler, geboren 1984 in Halle/Saale schon mit seinem Debütroman „Raubfischen“ (2015) erfolgreich seine Autorenkarriere startete und mittlerweile Stadtschreiber von Halle ist, gewinnt der Roman „Die Verlassenen“ nicht umsonst den Klopstock-Preis im Jahr 2022. Matthias Jügler schafft es, mit klarem Stil Emotionen zu wecken und die Leser zu fesseln. Der Roman nimmt sie mit seiner einfachen, alltäglichen Sprache gefangen. Mit Hilfe vieler Zeitsprünge wird ein Einblick in das ganze Leben von Johannes Wagner ermöglicht. Auch dessen Gefühle werden deutlich, obwohl sie nicht üppig beschrieben werden. Trotz des schlichten Schreibstils gelingt es Jügler darzustellen wie schmerzhaft die Wahrheit für den Protagonisten war und welche Gefühle ihn im Leben begleitet haben. 
Das Buch ist nicht nur ein Roman über irgendeine Lebensgeschichte, sondern über die vieler Deutscher. Die zeitgeschichtlichen Ereignisse werden von Matthias Jügler geschickt in die Geschichte eingebunden. Der Roman steht somit stellvertretend für all die Menschen dieser Generation, die Ähnliches erlebt haben. Die DDR und ihre Auswirkungen können noch einmal ganz neu erlebt werden.