Gesellschaft

Teilhabe oder Ausbeutung? Die Realität für Menschen mit Behinderung

Rund 300.000 Menschen mit Behinderung leisten in Deutschland laut der Bundesarbeitsgemeinschaft einen entscheidenden Beitrag in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM). Sie montieren Bauteile, verpacken Produkte und übernehmen anspruchsvolle Aufgaben für namhafte Unternehmen. Ohne ihre unermüdliche Arbeit kämen ganze Lieferketten ins Stocken. Doch trotz ihres wertvollen Beitrags bleibt ihre Entlohnung erschreckend niedrig und reicht bei weitem nicht aus, um ein würdevolles und selbstständiges Leben zu führen.

Ein Lohn, der kaum mehr als ein Taschengeld ist

Werkstattbeschäftigte haben kein reguläres Arbeitsverhältnis. Sie erhalten ein sogenanntes Werkstatt-Entgelt, das sich aus einem Grundbetrag und einem leistungsabhängigen Zuschlag zusammensetzt. Seit August 2024 liegt dieser Grundbetrag bei 133 Euro im Monat. Mit Steigerungsbetrag kommen einige auf knapp 200 Euro – doch nach Abzug von Kosten wie dem Mittagessen in der Werkstatt bleiben vielen weniger als 100 Euro.

Zum Vergleich: Der gesetzliche Mindestlohn beträgt 12,82 Euro pro Stunde. Wer regulär arbeitet, verdient bei einer 40-Stunden-Woche mehr als 2.000 Euro brutto im Monat. In den Werkstätten sind es umgerechnet oft nicht einmal 1 Euro pro Stunde.

Anspruchsvolle Arbeit, geringe Anerkennung

Die Werkstätten sollen Menschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereiten. Doch die Realität sieht anders aus: Nur ein Bruchteil der Beschäftigten schafft den Sprung in ein reguläres Arbeitsverhältnis. Die meisten verbleiben ihr Leben lang in der Werkstatt.

Dabei ist die Arbeit keineswegs banal. Ob Montage, Verpackung oder einfache Produktionsschritte – sie erfordert Konzentration, Präzision und Durchhaltevermögen. Für Menschen ohne Behinderung mögen die Tätigkeiten einfach erscheinen. Für viele Werkstattbeschäftigte sind sie eine tägliche Herausforderung. Doch dieser Einsatz spiegelt sich weder im Lohn noch in der gesellschaftlichen Anerkennung wider.

Armut wird festgeschrieben

Das Problem endet nicht beim niedrigen Entgelt. Menschen mit Behinderung dürfen kaum Vermögen ansparen, ohne finanzielle Einbußen befürchten zu müssen. Die Grenze liegt bei 10.000 Euro – wer mehr besitzt, verliert seine Grundsicherung. Während Menschen ohne Behinderung für das Alter vorsorgen oder Rücklagen für schwierige Zeiten bilden können, bleibt Menschen mit Behinderung diese Sicherheit verwehrt. Dadurch wird ein selbstbestimmtes Leben mit finanzieller Sicherheit kaum möglich.

Damit wird die Armut von Menschen mit Behinderung nicht nur hingenommen – sie wird systematisch festgeschrieben. Jahrzehntelange Arbeit bleibt finanziell folgenlos und ein Leben in Abhängigkeit ist festgeschrieben.

Es geht um mehr als Geld

Niemand verlangt, dass Werkstattbeschäftigte Spitzengehälter erhalten. Aber sie verdienen mehr als einen Lohn, der kaum für den Wocheneinkauf reicht. Niemand ohne Behinderung würde einen Arbeitsvertrag unterschreiben, der 40 Stunden pro Woche für ein paar hundert Euro vorsieht. Doch für Menschen mit Behinderung ist genau das Realität.

Ein System, das nicht mehr funktioniert

Werkstätten leisten einen wichtigen Beitrag zur Teilhabe am Arbeits- und Sozialleben. Doch die Bedingungen, unter denen Menschen dort arbeiten, stammen aus einer anderen Zeit. Es ist nicht gerechtfertigt, sie für ihre Tätigkeit mit geringfügiger Entlohnung und der damit eingehenden Armut zu bestrafen.

Eine Gesellschaft zeigt sich daran, wie sie mit den Schwächsten umgeht. Doch statt Menschen mit Behinderung eine echte Perspektive zu bieten, hält das aktuelle System sie klein. Es ist Zeit für eine Reform – eine, die nicht nur von Inklusion spricht, sondern sie auch lebt.

 

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