Gesellschaft

Kein Schutz für Frauen?

Spätestens mit dem Inkrafttreten der Istanbul-Konvention 2018 hat sich Deutschland zu einer nationalen Strategie zum Schutz von Frauen, die Gewalt erfahren, verpflichtet. Doch wie gut ist unsere Versorgungslage mit Schutzangeboten und Präventionsmaßnahmen in Baden-Württemberg wirklich?

Frauenhäuser sind ein essenzieller Bestandteil einer Gesellschaft, die bei Fällen von häuslicher Gewalt nicht einfach zusehen möchte: Sie bieten Wohnraum für Frauen und ihre Kinder, wenn sie aus einem gewaltvollen Zuhause flüchten müssen und gehen mit ihnen mögliche juristische Schritte. Doch wer auf der Homepage der zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser nach einem freien Platz sucht, wird von durchgestrichenen roten Symbolen regelrecht erschlagen – es gibt kaum freie Plätze, und das deutschlandweit. Es lässt sich zwar auch erkennen, dass Stuttgart als Landeshauptstadt vergleichsweise viele Angebote hat, diese aber wohl nicht den Bedarf decken. In einem Artikel der Stuttgarter Zeitung vom 25. Januar01.2023 berichtet Melanie Moll vom Verein Frauen helfen Frauen, der das autonome Frauenhaus in der Landeshauptstadt trägt, dass im Durchschnitt jeden Tag eine Frau abgewiesen werden muss. Und auch die Zahlen, die die Stuttgarter Zeitung in einem weiteren Artikel am 12. Februar 2023 veröffentlicht, sprechen für sich: Viele Frauen suchen Zuflucht in einem der 44 Frauenhäuser im Land, 20 bis 30 Frauen werden jedes Jahr in Baden-Württemberg getötet. Die Zeit der Trennung ist dabei für Frauen eine der gefährlichsten Lebensphasen. An jedem dritten Tag endet sie laut Kriminalitätsstatistik für eine Frau tödlich.

Laut eines Berichts des Sozialministeriums Baden-Württemberg vom März 2018 führte das Institut für angewandte Sozialwissenschaften in Stuttgart im Rahmen des LAP (Landesaktionsplans Baden-Württemberg gegen Gewalt an Frauen) eine Analyse „zur Vorhaltung eines bedarfsdeckenden Angebots an Frauen- und Kinderschutzhäusern und spezialisierten Fachberatungsstellen gegen Gewalt an Frauen in Baden-Württemberg“ durch. Diese stützt sich unter anderem auf zwei quantitative Fragebogenerhebungen zum spezialisierten Hilfesystem, zugängliche Statistiken und Rückmeldungen der Einrichtungen vor Ort. Es zeigte sich, dass es in Baden-Württemberg eine Vielfalt an spezialisierten Einrichtungen und Unterstützungsangeboten für, von Gewalt betroffene Frauen gibt. Das Angebotsspektrum ist breit gefächert und fachlich qualifiziert umgesetzt. Dennoch verweisen die Ergebnisse der Bestandsaufnahme darauf, dass nicht alle Zielgruppen erreicht werden, es keine verlässliche und einheitliche Finanzierungsgrundlage gibt und die Unterstützung von gewaltbetroffenen Frauen und deren Kindern ressourcenbedingt nicht hinreichend und auch nicht flächendeckend gewährleistet ist.

Eine Bestandsanalyse von 2016 zur Situation des spezialisierten Hilfesystems im Bereich Gewalt gegen Frauen in Baden-Württemberg im Auftrag des damaligen Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren (heute Ministerium für Arbeit und Integration) machte zudem deutlich, dass die Versorgung mit Einrichtungen nicht überall auf dem gleichen Stand ist. In vier Landkreisen, darunter auch der bevölkerungsstärkste Flächenlandkreis (Rhein-Neckar-Kreis) sowie im Kreis Breisgau-Hochschwarzwald, Emmendingen und Enzkreis, sind überhaupt keine der untersuchten Einrichtungen zu finden. Neun Landkreise verfügen über keinerlei Beratungsstellen. Auf Grundlage der Schätzungen lassen sich zudem weitere Landkreise ausmachen, die einen erhöhten Bedarf an Fachberatungsstellen haben. Trotz des höheren Bedarfs in den Städten, ist in diesen auch die Versorgung besser, da es hier in der Regel mehrere Fachberatungsstellen gibt.
Den Empfehlungen des Europarats zufolge, fehlen in Baden-Württemberg über 200 Frauen- und über 400 Kinderplätze in Frauen- und Kinderschutzhäusern. Lediglich drei Stadt- und Landkreise in Baden-Württemberg können die Anforderungen sowohl hinsichtlich Frauen- als auch Kinderplätzen erfüllen. Hier sind ebenso wie bei den Fachberatungsstellen leicht Landkreise zu identifizieren, die einen besonderen Nachholbedarf haben. Allerdings geht es bei Frauen- und Kinderschutzhäusern in stärkerem Maße als bei Fachberatungsstellen um die Gesamtanzahl an vorhandenen Stellen.

Welche Ideen gibt es, um es besser zu machen?

Zum einen sei das, laut den Interviews innerhalb der Bedarfsanalyse mit Expert*innen aus dem spezialisierten Hilfesystem, die Förderung eines gesellschaftlichen Bewusstseins zu den Themen Gewalt in Paarbeziehungen und sexualisierter Gewalt. Diese müssten erst noch öffentlich als Gewalt und nicht als private Angelegenheiten wahrgenommen werden. Darüber hinaus brauche es mehr finanzielle und personelle Möglichkeiten für eine kontinuierliche und flächendeckende gewaltpräventive Lobbyarbeit. Diese komme nicht immer gut an oder es werde die Unterstützung verweigert, da man sich nicht mit so einem ‚unschönen‘ Thema befassen wolle. Ein weiterer Punkt sei das große Potential einer intensivierten Kooperations- und Vernetzungsarbeit der Fachberatungsstellen untereinander und mit der Justiz, der Polizei, dem Jugendamt und Akteur*innen des Gesundheitswesens, für welche aber leider kaum Budget bestehe.

Als einzelne*r Bürger*in mag man sich diesem Thema gegenüber nun machtlos fühlen, da es doch beispielsweise unsere Regierungsparteien bräuchte, um nachhaltig etwas zu verändern. Als einen guten Anfang, um nicht mehr handlungsunfähig zu sein, nennen die befragten Expert*innen einerseits, sich für die Enttabuisierung dieses schweren Themenfeldes einzusetzen und andererseits mit dieser Forderung nicht still zu bleiben: Ein Modell der Finanzierung, das vom Land und den Kommunen gemeinsam getragen wird und landesweit verbindliche Regelungen zur kostendeckenden Finanzierung der Einrichtungen bezüglich Personals, Ausstattung und Präventionsarbeit usw. nach bestehenden Qualitätskriterien beinhaltet.

Weitere Informationen:
Die Istanbul-Konvention, die 2011 formuliert wurde und am 01.02.18 in Kraft getreten ist, formuliert Empfehlungen und Maßnahmen zur ‚Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt‘. In dieser Konvention werden Maßnahmen zur Prävention von Gewalt gegen Frauen, Empfehlungen für einen besseren Schutz und Unterstützung gewaltbetroffener Frauen sowie rechtliche und strafrechtliche Konsequenzen – die beispielsweise das Sorge- und Besuchsrecht, aber auch das Recht auf Entschädigung regeln – formuliert. Ziel ist es, die Situation gewaltbetroffener Frauen nachhaltig zu verbessern. Gewalt gegen Frauen wird, wie bereits erwähnt, als Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung angesehen.