Kultur

„Die schönste Version“ von Ruth-Maria Thomas

Gangsterrap und Glitzerlipgloss - eine Buchrezension

© Rowohlt Buchverlag

Wo verläuft die Grenze zwischen Leidenschaft und Leid? Statt Mitgefühl, Fürsorge und Liebe, die der Farbe Rosa zugeschrieben werden, führt der Roman die Leser*innen in tiefe Abgründe. Die Protagonistin Jella sitzt auf einer Polizeiwache. Nachdem ihr Freund Yannik sie gewürgt und bedroht hat, will sie ihn wegen häuslicher Gewalt anzeigen. In ihrem alten Kinderzimmer beginnt sie die letzten Jahre Revue passieren zu lassen. Wie konnte es so weit kommen? Aufwachsen in einer ostdeutschen Kleinstadt bedeutet für Jella Baden im Tagebausee, Shindy hören und den neusten Lipgloss klauen. Die Bravo-Girl prägt Jella und ihre Freundinnen, sie wollen und müssen Männern gefallen um jeden Preis. Über die eigenen Bedürfnisse und sich selbst zu gehen ist normal.

„Wenn ich nicht Nein sagte, konnte mein Nein auch nicht übergangen werden.“ Die gewaltsame Eskalation ist der Ausgangspunkt für eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Themen Macht, Schuld und weiblicher Sozialisation.
Ruth-Maria Thomas verwendet eine klare und direkte Sprache, um die oft unaussprechlichen Aspekte von Gewalt und emotionalem Schmerz zu beschreiben. Ihre Darstellung ist intensiv und offen, sie hat keine Angst hat vor expliziten Beschreibungen, was dem Leser einen ungeschönten Einblick in Jellas Welt ermöglicht. Mit einer klaren Sprache findet sie Worte für etwas, das für viele unaussprechlich ist.

“Die schönste Version“  zeichnet sich durch eine stilistische Brillanz aus, die Ruth-Maria Thomas Fähigkeit zeigt, große emotionale Tiefe und Drastik miteinander zu verbinden. Der Roman ist in seiner Offenheit und Direktheit sowohl schmerzhaft als auch erhellend. Thomas’ Sprache ist nicht nur präzise, sondern auch von einer gewissen Härte, die die Realität und die Komplexität von Jellas Erfahrungen widerspiegelt. Das Buch ist mehr als nur eine Erzählung über Gewalt, es ist eine Geschichte des Erwachens und der Selbstfindung. Jella durchläuft einen Prozess des Erkennens und Anklagens, der tief in die Thematik des Frau-werdens und der persönlichen Identität eintaucht. Es ist ein kraftvolles, eindringliches Werk, das die Leser*innen mit emotionaler Tiefe, Leichtigkeit und drastischer Sprache beeindruckt.

Ruth-Maria Thomas ist 1993 geboren, in Cottbus aufgewachsen, hat als Sozialarbeiterin in der Jugendhilfe gearbeitet und am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig studiert. Sie hat das queere Erotikmagazin Hot Topic! mitbegründet, war Finalistin des Open Mike und für den Brandenburgischen Literaturpreis nominiert. Ihr Debütroman „Die schönste Version“ ist für den Deutschen Buchpreis 2024 nominiert.

Ruth-Maria Thomas. Die schönste Version. Roman; Rowohlt Verlag, Hamburg; 2024; 272 Seiten; 24,- €; ISBN: 978-3-498-00695-2