Kultur

„Alte Sorten“ von Ewald Arenz

Flucht, Freiheit und alte Birnen - eine Buchrezension

Cover © DuMont Verlag

Ewald Arenz, geboren in Nürnberg und heute in der Nähe von Fürth lebend, zählt zu den bekanntesten Autoren aus Mittelfranken. In seinem vielseitigen Werk finden sich sinnliche Romane wie Der Duft von Schokolade, humorvolle Satiren wie Don Fernando erbt Amerika und historische Erzählungen wie Das Diamantenmädchen. 2019 gelang ihm mit dem Wechsel vom Ars Vivendi Verlag zum DuMont Verlag ein großer Erfolg: Sein Roman Alte Sorten blieb über zwei Jahre auf der SPIEGEL-Bestsellerliste und schaffte es 2021 auf Platz drei der Jahresbestseller.

Alte Sorten ist eine einfühlsame und zugleich tiefgründige Geschichte, die sich mit Selbstbestimmung, Freiheit und der heilenden Kraft der Natur auseinandersetzt. Im Zentrum stehen zwei Frauen aus unterschiedlichen Generationen, die aufeinanderstoßen und eine zarte, aber bedeutsame Freundschaft entwickeln. Sally, 17 Jahre alt und aus einer Klinik für Essstörungen geflohen, irrt durch die Weinberge, als sie auf die Bäuerin Liss trifft. Diese lebt zurückgezogen auf ihrem Hof, isoliert von der Dorfgemeinschaft, und bietet Sally spontan an, bei ihr zu bleiben.               

Was folgt, ist das langsame Annähern zweier Frauen, die beide auf ihre Weise von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Sally kämpft nicht nur mit ihrer Essstörung, sondern auch mit dem Druck, den ihre Familie und ihr Umfeld auf sie ausüben. Liss hingegen hat ihre eigenen Narben und ein Geheimnis, das sie zur Außenseiterin gemacht hat. Durch die gemeinsame Arbeit auf dem Hof, etwa bei der Ernte alter Birnensorten, finden die beiden Frauen eine stille Art der Verständigung. Ihre Freundschaft wächst durch gegenseitigen Respekt und das Schweigen – ohne den Zwang, sich erklären zu müssen.

Die Natur spielt in dem Roman eine zentrale Rolle, nicht nur als Kulisse, sondern auch als Spiegel der inneren Entwicklung der Figuren. Arenz beschreibt das Landleben und die Arbeit auf dem Hof mit großer Detailgenauigkeit – von der Birnenernte bis zum Kartoffelklauben – und bettet dies in eine wunderschöne, beinahe poetische Bildsprache ein.

Ewald Arenz hat für diesen Roman gründlich recherchiert und lässt dabei auch persönliche Erfahrungen einfließen. Besonders bewegend ist seine Darstellung von Sally, die sich selbst verletzt und unter familiärem Druck leidet. Diese Themen hat der Autor durch Gespräche mit seiner eigenen Tochter, die Ähnliches durchgemacht hat, auf einfühlsame Weise verarbeitet. Diese besondere Einfühlsamkeit zieht sich durch den gesamten Roman und lässt die Figuren lebendig und nahbar erscheinen.

Die Sprache in Alte Sorten ist einfach, aber wirkungsvoll. Arenz gelingt es, mit wenigen, präzisen Worten die Emotionen seiner Figuren zu vermitteln. Ein Roman, der lange nachhallt und besonders im Herbst, wenn die Erntezeit und das langsame Vergehen der Natur spürbar sind, noch intensiver wirkt – eine klare Leseempfehlung!

Arenz, Ewald (2020). Alte Sorten. Taschenbuch (3.Auflage). DuMont Verlag. 256 Seiten, 14€, ISBN: 978-3-8321-6530-7