Kultur & Gesellschaft

Hitze, Hektik, Herzrasen - bei der Puzzleweltmeisterschaft in Spanien

Valladolid wird für eine Woche zum Zentrum der Konzentration und Hektik – die Weltmeisterschaft im Speed Puzzlen versammelt die schnellsten Puzzler der Welt. Ein Wettlauf gegen die Zeit, bei dem jedes Detail zählt.

Teilnehmende der Puzzleweltmeisterschaft beim Puzzeln.

Valladolid (Spanien), 17. September 2025. Im Glaskuppelbau des Cúpula del Milenio, der einem halbierten Fußball ähnelt, herrscht gespannte Stille, nur das Rascheln von Puzzleteilen ist zu hören. Hunderte Menschen haben sich hier versammelt, vereint durch ein ungewöhnliches Hobby: Speed Puzzlen, das Puzzeln gegen die Zeit. Doch geht es nicht um ein kleines Turnier in privater Runde. Hier findet die World Jigsaw Puzzle Championship, also die offizielle Weltmeisterschaft im Puzzeln statt.

10:45 Uhr
Bald bin ich selbst an der Reihe. In Gruppe E, der vorletzten Vorrunde der Einzelmeisterschaft, trete ich gegen 176 andere Puzzlebegeisterte an, Mit meinem Teilnehmerausweis um den Hals warte ich am Rand der Turnierfläche. Noch wirkt alles fast zu geordnet: ein roter Teppich, akkurat aufgereihte Tische und Stühle, auf jedem Platz ein regenbogenfarbener Turnbeutel, in dem sich zwei 500-Teile-Puzzles verbergen. Die Helfer*innen, viele von ihnen später selbst im Wettkampf, stehen in gelben Warnwesten zusammen und flüstern letzte Absprachen. Ich spüre, wie mein Puls an Fahrt aufnimmt. Gleich beginnt das Rennen gegen die Zeit.

10:55 Uhr 
Die Absperrung zur Turnierfläche öffnet sich, und wie auf ein unsichtbares Signal strömen die Teilnehmenden hinein. Stühle rücken, Taschen rascheln, jeder will so schnell wie möglich bereit an seinem Platz sitzen. Auch ich gehe mit schnellen Schritten nach hinten, zu Platz 175, dicht bei meinen Freunden, die schon gespannt im Publikumsbereich warten.
Mein Sitznachbar stellt sich als Mark vor. Ein gut gelaunter Typ mit britischem Akzent, zum zweiten Mal bei der Weltmeisterschaft dabei. „Mein Ziel ist einfach das Puzzle in den 90 Minuten zu schaffen“, sagt er und lächelt gelassen. Ich nicke. Genau das ist auch mein Ziel. Doch im Gegensatz zu ihm bin ich ein Neuling. Vom Üben weiß ich: Alles hängt davon ab, ob das Puzzle gnädig ist oder nicht. Und hier unter dieser Glaskuppel versammelt mit hunderten erfahrenen Speed Puzzlern, fühlt sich mein Plan plötzlich sehr klein an.

10:59 Uhr
Nach einer kurzen Begrüßung durch die Moderatoren ertönt das erste Signal. Eine Minute Zeit, die Beutel zu öffnen, die beiden Puzzles herauszunehmen, eines auszuwählen und die Klebestreifen am Karton zu öffnen. Ich zerre meine Tasche auf und entnehme die zwei Schachteln heraus. Mein Herz schlägt schneller, der Atem stockt. Das erste Puzzle: rund, aus der Serie Little Sun. Das zweite: rechteckig, mit dem Titel Skandinavische Idylle. Welches wird mich retten – und welches ins Chaos stürzen?
Ich entscheide mich für die „Skandinavische Idylle“. Ein Bild voller Ruhe, denke ich. Hoffentlich täuscht mich mein Gefühl nicht.

11:00 Uhr
Das zweite Signal. Mein Herz hämmert. Ich reiße die Schachtel auf, stelle den Deckel auf, stoße ihn fast vom Tisch. Die Plastiktüte zerreißt mit einem Ruck und 500 Teile stürzen wie ein bunter Wasserfall vor mir auf die Tischplatte. Reines Chaos. Ringsum rascheln Tüten, es klackert, als überall gleichzeitig Teile auf die weißen Puzzleflächen prasseln. Die Luft vibriert vor Konzentration. Ich starte zu meiner Routine: Teile umdrehen, Rand suchen. Die klassischste aller Taktiken. Rand zuerst – und dann hoffen.

11:05 Uhr (Puzzledauer: 00:05:15)
Alle Teile sind sortiert. In der Mitte habe ich mir eine freie Fläche gelassen, damit ich mich beim Puzzeln nicht selbst blockiere. Nur ein feiner Staubfilm, der berüchtigte Puzzle-Dust, liegt noch dort. Den will ich mit einem schnellen Wisch beseitigen.
Was ich nicht bedacht habe: meine Hände sind jetzt schon schweißnass. Draußen brennt die Sonne bei 30°C, drinnen hat sich die Kuppel auf 35°C aufgeheizt. Wir sind Teil eines unfreiwilligen Experiments zum Glashauseffekt.
Als ich mit der feuchten Hand über die Unterlage streiche, rutscht plötzlich die ganze Matte ein Stück. Einen Augenblick droht mein halbes Puzzle vom Tisch zu segeln. Gerade noch rechtzeitig halte ich inne. Nur meine Wasserflasche erwischt es, sie kippt und rollt polternd davon.
Tief durchatmen. Nicht aus der Ruhe bringen lassen. Jetzt beginnt der eigentliche Kampf. 

11:33 Uhr (Puzzledauer: 00:33:18)
Irgendwo zwischen dem fertigen roten Holzhaus und der der Katastrophe mit den endlosen Blumen reißt mich plötzlich tosender Applaus aus meiner Konzentration. Sofort weiß jeder im Saal, was das bedeutet: Die erste Person hat das Puzzle beendet und sich damit den Gruppensieg gesichert. Es ist die Österreicherin Verena Klauser.
Neben mir hebt Mark kurz den Kopf. „That’s quite impressive“, murmelt er. Ich will gerade staunen, vielleicht sogar klatschen, doch keine Zeit. Der Blick fällt auf meine Teile, die Uhr tickt gnadenlos weiter. Mein Ziel bleibt bestehen: in 90 Minuten fertig werden. Egal auf welchem Platz.

12:22 Uhr (Puzzledauer: 01:22:23)
Nach knapp über 80 Minuten voller Schweiß und Konzentration, begleitet von wiederkehrendem Applaus, dem Kreischen von Bohrmaschinen (sie montieren ernsthaft während des Turniers die Klimaanlagen auf) und der Musik in meinen Kopfhörern, ist es endlich soweit. Mit zitternden Fingern setze ich das letzte Teil ein. Vor mir liegt sie: die Skandinavische Idylle. Rote Häuschen, Fjorde, Blumen – komplett. Ich starre ungläubig darauf.
Eine Helferin tritt zu mir, reicht mir einen Zettel. Meine Zeit 01:22:23. Im Vergleich zu den Weltbesten unspektakulär, für mich jedoch ein persönlicher Triumph. Hinter mir Jubel, Applaus, die Stimmen meiner Freunde. Ich winke leicht verlegen in die Kamera vom Live-Stream. Ich habe es wirklich geschafft. Und jetzt: nichts wie raus aus dieser Gluthölle.