Sommer 2018, Freitagabend, 22:45 Uhr in München. Rund 60 Menschen stehen vor Saal 2 in dem Kino Museums Lichtspiele in der Lilienstraße neben der Isar und warten auf Einlass. Einige sind verkleidet, viele haben eine Mitmach-Tüte in den Händen, gefüllt mit Reis, einer Zeitung, einer Spielkarte, einem Stück Toast und Luftschlangen. Darunter auch ich, 16 Jahre alt, aufgeregt gleich einen Film zum ersten Mal zu sehen, dessen Soundtrack ich bereits rauf und runter gehört habe und der auf keiner Halloween-Party fehlen darf. Die Türen öffnen sich und die Menschen stürmen rein. Die Sitze sind blutrot, an der Decke hängen mit Rüschen beschirmte Lampen und an den Wänden stehen zwei nackte männliche Statuen. Der Raum wurde speziell für diesen Film so gestaltet, in dem nun seit fast fünfzig Jahren ein bis zweimal wöchentlich dieser Film zu sehen ist. Die Rede ist natürlich von der Rocky Horror Picture Show.
Der Film prämierte am 14. August 1975 in London. Die Rocky Horror Show, das Musical, auf dem der Film basierte, eroberte zwei Jahre zuvor ebenfalls London. 1977 erreichte der Film auch die deutschen Leinwände und auf manchen spielt er noch heute. Das Mastermind hinter der an Frankenstein angelehnten Story und der Musik ist der Brite Richard O’Brien, der in der Filmversion Riff Raff, den Igor-artigen Butler des Dr. Frank N. Furter, verkörpert.
Bei seinem Release floppte der Film erstmal, vor allem finanziell. Die Kinos nahmen ihn recht schnell wieder aus dem Programm. Der Kritiker Roger Ebert schrieb 1976: „The Rocky Horror Picture Show would be more fun, I suspect, if it weren’t a picture show. It belongs on a stage, with the performers and audience joining in a collective send-up.“ (Ich nehme an, die Rocky Horror Picture Show würde mehr Spaß machen, wenn sie kein Film wäre. Sie gehört auf die Bühne mit Darstellenden und einem Publikum, welches kollektiv mit einsteigen kann.) Wenn er damals gewusst hätte, dass die Fans gar keine Live-Performance brauchen, um kollektiv mitzumachen, und wie sich der Kult um die Rocky Horror Picture Show entwickeln würde, wäre seine Meinung wahrscheinlich eine andere gewesen.
Am 1. April 1976 begann das Waverly Theatre in New York City, den Film in der Mitternachtsvorstellung zu zeigen und zog damit viele Fans an. Fans, von denen viele Teil der LGBTQ+ Community waren, fanden in der Geschichte Akzeptanz und Repräsentation. In der Zeit der ersten Christopher Street Days und des langen Kampfes nach Gleichberechtigung und Akzeptanz, der bis heute andauert, waren Filme wie die Rocky Horror Picture Show das, wonach was die Menschen lechzten. Also besuchten die Fans regelmäßig den Film und es entwickelten sich Rituale, die auch heute noch während des Films stattfinden.
Wer nicht weiß, worum es in dem Film geht, hat eindeutig etwas verpasst und sollte diese Bildungslücke schnellstmöglich schließen, dafür war jetzt wirklich lang genug Zeit. Allerdings ist es nur der halbe Spaß, wenn man den Film allein zuhause auf seiner Couch streamt. Was den Film oder auch das Musical zu einem Erlebnis macht, sind die anderen Fans. „Time Warp – The Official U.K. Rocky Horror Fan Club“ hat einen Leitfaden erstellt für den ersten Rocky Horror Besuch. „The Virgins Guide to Rocky Horror“ zählt die Do’s and Dont’s auf, die einen bei einem Kino- oder Musicalbesuch erwarten. Es gibt viele, die verkleidet kommen, manche in perfekten Kopien der Filmkostüme, andere einfach nur in Heels, Netzstrumpfhose und Federboa. Prinzipiell ist alles erlaubt. Nur wer im Anzug kommt, muss eventuell damit rechnen, schief angeschaut zu werden. Womit auch gerechnet werden muss, ist Publikums-Partizipation. Über die Jahre haben sich in den Fangruppen einige Mitmach-Elemente etabliert, zum Beispiel, dass während der Hochzeit im Film Reis durch den Kinosaal geworfen wird, Zeitungen über den Kopf gehalten werden, in der Regenszene und wenn der Erzähler die Namen Brad und Janet nennt, ruft das Publikum „Arsehole“ und „Slut“. Wichtig ist bei den Mitmach-Elementen, dass die Rufe den Film nicht übertönen und insgesamt nichts kaputt gemacht wird. In den Musical Vorstellungen wird prinzipiell nichts geworfen, damit die Darstellenden nicht gefährdet werden.
In diesem Jahr feiert die Rocky Horror Picture Show ihr 50-jähriges Jubiläum. Einige Kinos spielen zur Feier den Film. Vor allem an Halloween lohnt es sich zu schauen, welche Kinos in der Umgebung den Film zeigen. Rechtzeitig zum Jubiläum erscheint am 26. September 2025 die Doku Strange Journeys: The Story of Rocky Horror von Linus O’Brien. In der Doku geht es um die Entstehung der Geschichte und wie es sich über die Jahre weiterentwickelt hat. Neben Richard O’Brien kommen Tim Curry und Susan Sarandon zu Wort, die im Film die Rollen von Dr. Frank N. Furter und Janet Weiss verkörpert haben. Der Trailer verspricht spannende Einblicke und eine Ladung Nostalgie.