Kuchen statt Karriere
Der feine Duft nach Zimt und Vanille weht durch das Haus und vermischt sich mit einem Hauch Zitrone, der von frisch gewaschener Wäsche erzählt. Klapperndes Geschirr, untermalt von leiser Jazzmusik, verlockt dazu in der Küche nachzusehen, wer für Duft und Klang verantwortlich ist. Hier garniert gerade eine Frau mit blond gelocktem, frisiertem Haar und rotem Lippenstift Gebäck auf einem Teller. Bereit, dieses ihrem Mann zu präsentieren, verkörpert sie das Idealbild der Hausfrau der 50er-Jahre. Lediglich der Herd und die modernen Küchengeräte verraten, dass keine Reise in die Vergangenheit erfolgt, sondern das Jahr 2025 angebrochen ist. Die blonde, junge Frau trägt den Namen Estee Williams, ist US-Amerikanerin und bezeichnet sich selbst als eine Tradwife. Dieser Begriff stellt die Abkürzung für „traditional wife“ (auf Deutsch: „traditionelle Ehefrau“) dar und deutet bereits darauf hin, dass eine Tradwife sich mit traditionellen Werten identifiziert. So bilden für Williams Kochen und Backen aus frischen Zutaten, Haushaltstätigkeiten und das Verwöhnen ihres Partners den Lebensmittelpunkt. Während sie sich vor allem im Haus aufhält, geht der Mann der Erwerbstätigkeit nach. Über die sozialen Medien teilt Williams diesen Lebensentwurf mit Hunderttausenden.
Stimme statt Stigma
Williams Konzept ist kein Einzelfall. Längst ist der Trend auch in Deutschland populär und verbreitet sich über Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und TikTok weiter. Das Rückbesinnen auf Rollenbilder der 50er-Jahre sowie das Sorgen für Familie und Haus als höchstes Ziel der Frau markieren dabei die Gemeinsamkeit der Influencerinnen. Ein solch simpler, unkomplizierter Lebensstil sei insbesondere in den heutigen Krisenzeiten durchaus verführerisch, so Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Margreth Lünenborg im Gespräch mit ZDFheute 2024. Zudem betrachten sich die Influencerinnen nicht (nur) als Darstellerinnen überholter Rollen, sondern als Feministinnen: Die deutsche Tradwife Carolina Tolstik (Instagram-Account: „Malischka“) führt 2024 laut der Tagesschau aus, dass nun Hausfrauen endlich wertgeschätzt würden. Genauso sieht es die ebenfalls deutsche Tradwife Lara (Instagram-Account: „tradwifefactory“) 2025 im Interview mit dem NDR: Sie wolle den Hausfrauen eine Stimme geben.
Illusion statt Idylle
Doch die romantische Hausfrauen-Idylle ist kritisch zu hinterfragen. Die Untersuchung Beyond the feet: Social Media Report 2024 der internationalen Data & Analytics Group YouGov verdeutlicht, dass die jüngste von YouGov betrachtete Altersgruppe (Jahrgänge 1997-2006) die meiste Zeit in den sozialen Medien verbringt: Zwölf Prozent halten sich mehr als 20 Stunden pro Woche auf YouTube auf, neun Prozent besuchen mehr als 20 Stunden pro Woche die Plattform TikTok. Daraus ist zu schließen, dass insbesondere junge Menschen die Inhalte der sozialen Medien konsumieren – und somit auch die Inhalte der Tradwives. Da sie in einem ähnlichen Alter wie die Influencerinnen sind, können sich die weiblichen Konsumentinnen besonders gut mit diesen identifizieren. Viele bemerken dabei nicht, dass die auf Social Media von den Tradwives gezeigte Welt nur Täuschung und Geschäftsmodell ist. Denn die Influencerinnen verdienen Geld mit den Inhalten, die sie teilen. Im Unterschied zu den Hausfrauen der 50er-Jahre ist die ausschließlich männliche Erwerbstätigkeit hier somit bloße Illusion. Diese reicht jedoch dafür aus, junge Konsumentinnen dazu zu verlocken, sich in eine tatsächliche völlige Abhängigkeit vom Mann zu begeben. Unterstützt wird dies durch Äußerungen wie die folgende: „Wenn mein Mann Nein sagt, dann ist es ein Nein. […] Mein Mann hat die Autorität mit dem letzten Wort.“, ist auf dem Instagram-Account „tradwifefactory“ zu lesen. Von der bereits aufgeführten Selbsteinschätzung, Feministin zu sein, ist eine solche Perspektive objektiv betrachtet weit entfernt. Stattdessen wird das Patriarchat propagiert. Laut Statistischem Bundesamt verdienen Frauen im Jahr 2024 noch immer weniger und sind häufiger armutsgefährdet als Männer. Vor diesem Hintergrund birgt die wachsende Beliebtheit des traditionellen Rollenbilds in den sozialen Medien eine besondere Gefahr für Frauen.
Rechtskonservatismus statt Regenbogen
Doch nicht nur für Frauen ist der Trend laut Prof. Lünenborg problematisch: Tradwives verkörperten im Allgemeinen ein rassistisches, diskriminierendes Weltbild. Fast alle seien weiß und entstammten christlich-fundamentalistischen Kirchen; zudem befürworteten die meisten US-amerikanischen Tradwives Donald Trumps Präsidentschaft. Kulturkritikerin Silvi Carlsson nennt 2024 im Gespräch mit National Geographic den Tradwife-Trend eine „rechtskonservative Verkaufsmasche“; ebenso beschreiben die Psychologinnen Sophia Sykes und Dr. Veronica Hopner 2024 in ihrem Artikel „Tradwives: Right-Wing Social Media Influencers“ die Influencerinnen als politisch rechts. Beiträge wie „Happy ,there are only two genders / look how beautiful men and women look together’ Month” (auf Deutsch: „Einen schönen ,es gibt nur zwei Geschlechter / seht, wie hübsch Männer und Frauen zusammen aussehen‘-Monat“) auf dem Instagram-Account „theprettyconservative” unterstreichen dieses Gedankengut. Alternative Familienformen, zum Beispiel Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternteilen, werden von Tradwives abgelehnt.
Zukunft statt Zeitreise
Die Tradwives veranschaulichen Antifeminismus und Diskriminierung als malerisches Paradies und verbreiten diesen Eindruck über die sozialen Medien. Zwar steht es aus feministischer Sicht jeder Frau frei, sich für einen – auch traditionellen – Lebensstil zu entscheiden, doch das Bewerben desselben über sie sozialen Medien führt hier insbesondere die jungen Konsumentinnen möglicherweise ins Unheil. Unabdingbar ist demzufolge die Förderung von Medienkompetenz bereits bei Kindern und Jugendlichen. Nicht vergessen werden sollte, dass die Möglichkeit der Frau, das eigene Lebensmuster zu wählen, über Jahrhunderte hinweg hart erkämpft wurde. Ohne diesen Prozess würde auch das Geschäftsmodell der Tradwives nicht funktionieren. Obwohl der Anblick köstlichen Vanille- und Zimt-Gebäcks und der Klang heiterer Musik die Sinne zu betören vermögen, ist es folglich zentral, stets mit klarem Verstand zu beurteilen, ob in den sozialen Medien lediglich schöner Schein und Ideologien propagiert werden. Statt sich in Rollenbildern der 50er-Jahre zu verlieren, gilt es, moderne Werte zu betonen, um in Zukunft in einer Welt voll tatsächlicher Gleichberechtigung zu leben.