Gesellschaft

Willkommen auf dem Weindorf: Könnte ich vielleicht statt Brot deine Nummer zur Wurstplatte dazu haben?

„Was habt ihr erwartet? So läuft es eben in der Gastro!“,

wurde mir entgegnet, als ich mich bei einer Kollegin über die sexistischen Kommentare und sexuellen Belästigungen der Gäste und Mitarbeiter auf dem Weindorf in Stuttgart beschwerte. Die Vorfälle reichten vom Klatschen auf den Hintern, über Bemerkungen wie „Das war doch nur ein Spaß, ich brauche eben auch ein bisschen Liebe“, bis hin zu Kommentaren wie „Wir hatten doch ausgemacht, du sollst heute in kurzem Rock und Absatzschuhen kommen, warum hast du jetzt eine Jeans an?“. Ein weiterer Klassiker ist das Anfassen der Taille, wenn man an einer Person in der engen Weinlaube vorbeigeht. „Schatzi“ hier, „Schatzi“ da — ich geb dir gleich „Schatzi“! Völlig vor den Kopf gestoßen, widersprach ich: „Aber das muss ich doch trotzdem nicht hinnehmen, das muss doch Konsequenzen haben!“

Gesetzlich sind Arbeitgeber dazu verpflichtet, für ein Klima frei von Übergriffen zu sorgen, wie ich im Nachhinein herausfand. Doch dass sich viele Vorgesetzte nicht im Geringsten daran halten, wurde mir schnell klar. Wer auf dem Weindorf jede Person verbannt, die versucht mit den überwiegend weiblichen Servicekräften zu „flirten“, der verliert eben eine Menge Umsatz. Statt also auf den Rückhalt des eigenen Teams zu hoffen, beginnt dort oft erst recht die Belästigung. Obwohl von den über 1,6 Millionen in der Gastronomie tätigen Personen in Deutschland mehr als die Hälfte weiblich ist, sitzen in den Führungspositionen hauptsächlich Männer. Zu dieser unausgeglichenen, strukturell verankerten Tatsache kommt hinzu, dass häufig keine Personalabteilungen vorhanden und Gewerkschaften nicht präsent sind. An wen wendet man sich also im Falle von Beleidigung und Belästigung, wenn Machtstrukturen dafür sorgen, dass die Angst besteht, nicht ernst genommen zu werden?

Billy Wagner, der Chef des Restaurants „Nobelhart & Schmutzig“ in Berlin, zeigt, dass es auch anders geht. In seiner Gastronomie gibt es einen Verhaltenskodex, den „Guide of Conduct“, der Machtmissbrauch, sexuelle Belästigung und Diskriminierung entgegenwirken soll. Dort werden die Werte und Grundsätze sowie Kommunikations- und Verhaltensregeln festgelegt. Wer sich nicht an diesen Kodex hält, muss mit entsprechenden Konsequenzen rechnen. Mitarbeiter*innen können sich zudem an eine außenstehende Person wenden, die zur Beratung zur Verfügung steht.

Sophia Hoffmann, eine Köchin, Autorin und Aktivistin aus Berlin, berichtet im Podcast „100 Frauen* - der Podcast über modernen Feminismus“ über ihre Erfahrungen als Frau in dieser Branche und sagt:

„Ich glaube schon, dass man mit Initiativen etwas erreichen kann. Einerseits Anlaufstellen für Betroffene, aber auch beispielsweise Schulungen von Mitarbeitern.“

Mit diesen Initiativen spricht sie unter anderem das „Gastra-Kollektiv“ aus Wien an, welches Betroffenen eine Plattform bietet und durch Proteste für bessere, gerechtere Arbeitsbedingungen in der Gastronomie kämpft, ähnlich wie der "Feminist Food Club“ aus Berlin.


Zu hören, dass meine Erfahrungen keine individuellen sind, ist traurig, aber nicht schockierend. Sie sind Teil eines tief verankerten Problems in dieser Branche und es macht mir Mut, dass auch viele andere in die Offensive gehen und sich nicht mit einem „so läuft das eben“ abfinden. Denn wer sich dazu entscheidet, in der Gastronomie zu arbeiten, stimmt diesen Umgängen nicht zu. Es ist ein gefährlicher Trugschluss, Bedingungen zu akzeptieren, nur weil sie als typisch für eine Branche gelten.