Gesellschaft

69 Grad im Fanblock

Tausende von Menschen stürmen samstags durch die Straßen Bad Cannstatts, dem eigentlichen Herzstück Stuttgarts. Rot-weiß beschmückt, jubelnd und unaufhaltsam kommen sie in Scharen, um die einzig wahre Kultur im Ländle zu bestaunen und zu bebrüllen.

Public Viewing im White Noise (Finale)

Doch was die Heten können, das kann auch die queere Szene. Allerdings sind hier nicht Undav und Nübel die Stars, sondern Seleya und Lucia. Statt der MHP-Arena ist hier die Stuttgarter Kulturstätte „White Noise“ der heilige Ort. Für die, denen das Heiligtum noch unbekannt ist: Der Platz ähnelt einem Amphitheater, bei dem der Treppenaufbau durch edle Spelunken unterbrochen wird um dann im White Noise zu münden. Ob vom Rotebühlplatz oder vom Rathaus, alle Wege führen zur Eberhardstrasse 37. Die Queere Szene Stuttgarts hat ihren eigenen VFB gefunden: “Princess Charming“.

Jeden Mittwoch brechen die Flintas und Co. auf, um das spannende Match der Liebe zu verfolgen. Bei Pinsa, Bier und 69 Grad, sitzt der Fanblock Schulter an Schulter schweißgebadet vor der Leinwand und kommentiert das Geschehen. Diesen Mittwoch, am 4. September 2024 um 19 Uhr, war es dann endlich so weit. Das große Finale steht vor der Tür. Schon vor dem Beginn des Finales wird wild darüber spekuliert, wer die letzte Kette womöglich bekommt. Maike oder Christine? So wirklich überzeugt von einer Kandidatin scheint niemand zu sein aber das gehört zum Fantum schließlich dazu. Mann kann prinzipiell nämlich immer besser Fußball spielen als die Fußballspieler, denen man gequält zuschaut. Weil hätte Mann sich vor 30 Jahren nicht das Fußgelenk verstaucht, dann wäre Mann Profi geworden- Nicht nur Profi, sondern eine Fußball-Legende! Nun ja „wäre, wäre, Fahrradkette“.

So wurde im White-Noise mitgefiebert, um schlussendlich herauszufinden -Achtung Spoiler!- Niemand bekommt eine Kette von der Princess. Lea entscheidet sich für sich selbst. Wen kann man denn jetzt bitte auf Instagram stalken?! Und die wichtigste Frage: Wieso gibt es kein Wiedersehen, durch das die Qual des Unwissens und des wilden Spekulierens ein Ende nimmt, weil die Frage „Seid ihr jetzt ein Paar“ am Ende des Tages endlich eine Antwort findet. Zufrieden mit Leas Entscheidung und doch irgendwie unbefriedigt gibt es rituell noch eine Nachbesprechung, um das Gesehene mental zu verarbeiten. Es wird noch kurz Tik-Tok und Instagram Gossip ausgetauscht, weil jede weiß schließlich ein bisschen mehr als die andere: „Eeeecht?!“ „Oha was?!“, „No way, die hat jetzt was mit der?!“. Am Ende gehen alle wieder nach Hause, in der Hoffnung sich bald beim Wiedersehen wiederzusehen.

Auch die Straßen Bad Cannstatts legen sich jetzt zur Ruhe, um das morgige Erdbeben zu überleben, wenn die Straßen wieder im Sturm erobert werden, weil der VFB gegen Kaiserslautern spielt. Zumindest die Welt der Heten hat dann wieder einen Sinn.