Gesellschaft

Zwischen Hörsaal und Bierzapf – ein studentisches Doppelleben

Wer hat sich eigentlich das mit den 8 Uhr-Vorlesungen ausgedacht? Wenn schon Vollzeitstudium, dann doch bitte wenigstens erst ab Mittag. Bei mir macht das ein flexibler Stundenplan möglich – zumindest einen Großteil der Zeit. Da ich nebenher noch abends arbeite, ist mir das morgens Ausschlafen umso wichtiger. Natürlich klappt das nicht immer, aber da ist mein Arbeitgeber kompromissbereit; muss ich morgens früh zur Uni, muss ich abends nicht arbeiten, oder zumindest nicht bis Ladenschluss.

Das Sportcafé Markthalle in Ludwigsburg.

„Ich versteh nicht, warum du dir das antust“ sinniert eine Freundin beim gemeinsamen Kaffee trinken über mein “Doppelleben“, wie sie es schmunzelnd nennt. Ich lasse das unkommentiert, denn die meisten Menschen verstehen eben nicht, warum ich mir das „antue“.

Laut dem Statistischen Bundesamt waren rund 38% aller Studierenden im Jahr 2021 armutsgefährdet. Die meisten meiner Freund*innen gehören zu diesen 38% - ich aber nicht, aufgrund meines Nebenjobs. Wenn ich mich mit Ihnen auf einen Kaffee oder Cocktail treffe, bin es meistens ich, die bezahlt. Sie schieben das auf mein großzügiges Wesen, ich aber weiß, dass mein Gegenüber auf jeden Cent schaut und sich nicht selten entscheiden muss zwischen dem Cocktail und dem nächsten Wocheneinkauf. Ich habe das Privileg, nicht so streng darüber nachdenken zu müssen – aufgrund meines Nebenjobs.

„Aber du musst an deine mentale Gesundheit denken bei dem ganzen Workload, den du dir aufhalst!“ Das mag jetzt seltsam klingen, aber: ich arbeite nebenher für meine mentale Gesundheit. Denn ganz unabhängig davon, dass die Geldsorgen, die ich in meinem ersten Semester kennengelernt habe (als ich noch nicht nebenher arbeitete), viel mehr meine Mental Health strapaziert haben, ist die Abwechslung, die mir die Arbeit dort bringt, eine meiner größten mentalen Stützen. Während mein Studium nämlich doch sehr theoretisch bleibt und ich den Großteil der Zeit mit Lektüre beschäftigt bin, hält mich die Markthalle in der Gesellschaft. Studieren ist eine Einzelaktivität, im Sportcafé Markthalle (meinem Arbeitsplatz) zählt das Team. Hier wird Hand in Hand gearbeitet, jedes Teammitglied ist wichtig und niemand wird zurückgelassen – ein Gefühl, welches ich aus dem Studium nicht kenne. Wer da einmal zu oft durch eine Prüfung fällt, ist raus; stößt man in der Markthalle auf eine Hürde, die man einfach nicht allein nehmen kann, sind mindestens drei andere Menschen da, die einem helfen, diese Hürde zu meistern oder sie notfalls selbst übernehmen. Gleichzeitig nimmt mir das Arbeiten neben dem Studium die Angst vor einem späteren Berufseinstieg, denn die Arbeitswelt habe ich nun schon kennengelernt und zwar ohne den unglaublichen mentalen Leistungsdruck. Und ganz nebenbei habe ich meine besten und engsten Freunde in der Markthalle in Ludwigsburg kennengelernt. Inzwischen verbringe ich dort mehr Zeit als in der Uni oder in meiner Wohnung, und zwar nicht, weil ich es muss, sondern weil ich es will. Sei es, um aktiv meine Kolleg*innen von der Arbeit abzuhalten (irgendwer muss sich ja mit ihnen unterhalten), um meine Chefs zu nerven (denn bekanntlich bin ich der lustigste Mensch der Welt – leider wissen sie es noch nicht) oder um meine Uni-Aufgaben zu erledigen (ja, auch dieser Artikel ist in der Markthalle entstanden).

Alles in Allem kann ich mir ein Leben ohne die Markthalle inzwischen nicht mehr vorstellen (für alle Interessierten: wir haben noch Plätze im Team!). Ich brauche meinen Ausgleich zu der zeitweise doch sehr anonymen Studienwelt, deswegen führe ich mein “Doppelleben“ doch sehr gern.