Solcherlei Reime, die ich überall sonst wahrscheinlich als höchst unangenehm empfinden würde, nehme ich als regelmäßige Bahnreisende dankend an. Der Klang dieser humoristischen Worte inmitten einer oftmals unangenehmen Atmosphäre darf gern durch meine noise–cancelling Kopfhörer dringen, im Gegensatz zu den elenden (manchmal jedoch berechtigten) Meckereien über die Deutsche Bahn, Oma Kathrins Lästereien über ihre eigenen Kinder oder das Geschwafel des betrunkenen Mannes, der vor ein paar Minuten seine Bierflasche umgekippt hat, weshalb jetzt der Boden des halben Zugabteiles klebt. Humor in der Bahn macht alles viel erträglicher, wie ich finde. Beispielsweise bei Türstörungen, die sich dann zu Fahrzeugstörungen entwickeln, man fünfzehn Minuten in der Pampa steht und von der zehnminütigen Umsteigezeit noch genau minus fünf Minuten bleiben, ist authentisches Zugpersonal, welches versucht, die Fahrgäste bei Laune zu halten, die Kirsche auf der Sahnetorte oder besser gesagt: ein pünktlicher, funktionierender Zug der Deutschen Bahn.
Doch manchmal kann ich die negativen Stimmen, die überall lauern, gut verstehen. Ich frage mich, wie es möglich ist, dass ein Zug beinahe wöchentlich, immer zur selben Uhrzeit, nicht losfahren kann, weil ein anderer Zug den Weg blockiert. Wer plant denn so etwas? Fraglich ist auch, wie ein Zug, der von Schwäbisch Hall (Hessental) laut der db – App vier Stunden und siebenundzwanzig Minuten ins Allgäu braucht, schafft, zweieinhalb Stunden länger zu brauchen, unter der einfachen - und doch zugleich komplexen - Begründung „Verspätung“. Der Geburtstag, auf den ich nach dieser Abenteuerreise mit der Deutschen Bahn noch gehen wollte, war nach einer netten Stunde vorbei. Gut ist nur, dass inzwischen jede*r Verständnis für die Phrase „Sorry, die Bahn“ hat und genau weiß, was gemeint ist. Es ist also ratsam, mindestens einen Tag nach einer Bahnfahrt keine Termine auszumachen – nur für den Fall, dass man irgendwo strandet, weil der Halt, an welchem man eigentlich aussteigen wollte, entfällt oder man mit dem Schienenersatzverkehr fünf statt zwei Stunden unterwegs ist und gerade so zum Morgengrauen ankommt.
Reisen mit der Deutschen Bahn stärkt die Naturverbundenheit und hält stets neue Erfahrungen bereit: Ob Fahrgäste an Bahnhöfen ohne Überdachung im Regen oder in der prallen Sonne stehen müssen, sie am Fenster sitzen und nach einer bestimmten Zeit einen abgefrorenen Ellenbogen haben, weil die Kälte durch die Zugwand hindurchdringt. Ich weiß jetzt auch, wie es sich anfühlt, wenn Flüssigseife an der Hand festtrocknet, weil der Wasserhahn nur beim Anfeuchten der Hände funktioniert, oder die Klimaanlage einem halben Orkan entspricht, sodass ich selbst im Hochsommer Kniestrümpfe anziehen muss, damit meine Schienbeine nachher keine Eiszapfen sind – oder mit den Worten der Wise Guys „Erleben Sie bei uns Kälteschock und Fieberwahn - Sänk ju for träweling wis Deutsche Bahn“ („Deutsche Bahn“, Wise Guys, 2012).
Abenteuer Deutsche Bahn – Ob Polizeieinsatz auf der Strecke wegen einer entarteten Diskussion über einen ungültigen Fahrschein, Verspätung eines vorausfahrenden Zuges, Verspätung aus vorheriger Fahrt, wegen Weichenstörung, Tür- oder Fahrzeugstörung, defekte Einstiegshilfe oder WCs, verschiedene Klimazonen auf dem Gleis und im Zug – für jede*n ist etwas dabei. Ich finde, das hat durchaus Werbepotenzial.
Besonders aufregend scheint das Bahnfahren in Deutschland auch für Touris oder Arbeitende aus anderen Ländern zu sein. Im RE 5 beispielsweise funktionieren die Anzeigetafeln mit dem jeweiligen nächsten Halt beispielsweise nicht immer, sodass Reisende weder sicher sein können, in welchem Jahr sie sich gerade befinden (2005 oder doch 2025?), noch genau erahnen können, wo sie sich gerade befinden, weil die Lautsprecheraussagen oft so undeutlich sind, dass sogar ich als Muttersprachlerin manchmal Probleme beim Verstehen habe. Die Durchsagen im Nahverkehr werden oft noch nicht einmal ins Englische übersetzt. Kürzlich saß ein Mann aus dem englischsprachigen Raum neben mir, der mich fragte, ob Plochingen Tuttlingen sei. Wie sich herausstellte, war er im völlig falschen Zug. Jemand am Gleis hatte behauptet, dass dies der richtige Zug sei. Der Fehler begann aber schon damit, dass der Zug nicht einmal als RE 5 ausgezeichnet war, dazu die defekten Anzeigetafeln im Zug. Schade.
Sicherer als ein Sitzplatz ist, dass Bahnfahren immer ein Abenteuer ist! Nun können sich Fahrgäste natürlich schon am Gleis dazu entscheiden, nur zu nörgeln und sich zu beschweren, was auch meist berechtigt und nachvollziehbar ist.
Doch ich hingegen habe angefangen, mir das Bahnfahren - so weit wie möglich - zu romantisieren: Lieder wie „Deutsche Bahn ,total´ “(Alte Bekannte, 2023) in Dauerschleife zu hören, Krimis während der Fahrt zu lesen, in welchem sich die Sitznachbarin eines Zuggastes als Leiche entpuppt („Luftbrücke“, Harald Gilbers), sowie „Mord im Orientexpress“ oder „Eisenbahnromantik“ zu schauen – denn niemand ist so begeistert von Zügen wie leidenschaftliche Bahnfahrende an der idyllischen Ostküste Irlands mit Meerblick oder durch malerische Berglandschaften. Und Mord gibt dem ganzen noch den nötigen Spannungskick. Imagination ist an dieser Stelle das Stichwort.
Zum Schluss bleibt nur noch eins: „Meine Damen, meine Herr'n, danke, dass Sie mit uns reisen,
Zu abgefahr'nen Preisen auf abgefahr'nen Gleisen, für Ihre Leidensfähigkeit danken wir spontan,
Sänk ju for träweling wis Deutsche Bahn“ (ebd.).